Molekulargenetische Diagnostik mittels NGS
Informationen zu Analyse, Bewertung und Limitationen
Unsere molekulargenetischen Untersuchungen erfolgen unter Anwendung modernster Hochdurchsatz‑Sequenzierung (Massive Parallele Sequenzierung / MPS; Next Generation Sequencing / NGS). Im Folgenden finden Sie eine Übersicht über die durchgeführten Analysen, die Bewertungsverfahren und den Umgang mit Zusatzbefunden. Eine Übersicht über die angebotenen NGS-Panel finden Sie hier.
Für die molekulargenetische Analyse werden die beiden Kits SOPHiA DDM™ Hereditary Cancer Solution v2.0 (HCS v2.0) und SOPHiA Genetics® Clinical Exome Solution v3 (CES v3) der Firma SOPHiA Genetics SA verwendet. Die Auswertung erfolgt bioinformatisch mit der Software SOPHiA DDM™. Analysiert werden die gesamten kodierenden Bereiche sowie mindestens ±5 intronische Basenpaare der angeforderten Gene. Erfasst werden Einzelnukleotidvarianten (SNVs), kleinere Insertionen und Deletionen (InDels) sowie Kopienzahlveränderungen (CNVs).
Alle sogenannten Core-Gene erfüllen die Anforderungen der Kategorie A (vollständige technische Abdeckung mit > 99 % mindestens 20-fach abgedeckten Basen) gemäß der S1-Leitlinie „Molekulargenetische Diagnostik“ (AWMF-Register Nr. 078/01, PMID: 40698191) und der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (Rili-BÄK-2019) jeweils in aktuell gültiger Version. Zusätzlich befundete Gene des erweiterten Panels erfüllen mindestens die Kategorie B.
Für das HCS v2.0-Kit beträgt die Sensitivität für SNVs und InDels gemäß Herstellerangaben bis zu 100 %, die Präzision für SNVs 100 % und für InDels 98,5 %. Für das CES v3-Kit betragen Sensitivität bzw. Spezifität für SNVs 99,8 % bzw. 99,99 % und für InDels 96,6 % bzw. 99,99 %.
Je nach klinischer Fragestellung werden in unserem Labor unterschiedliche Stufen der diagnostischen Tiefe angewendet. Grundlage hierfür stellt vor allem die Publikation „Guidelines for diagnostic next-generation sequencing“ von Matthijs et al. dar (PMID: 26508566). In dieser werden drei Qualitätsstufen (Typ A–C) definiert, welche die technische Abdeckung, Sequenziertiefe und ergänzende Analysen in der molekulargenetischen Diagnostik beschreiben.
Darüber hinaus wird international empfohlen, für definierte Fragestellungen sogenannte „Core-Gene“ festzulegen. Diese beziehen sich auf klinische Kernsymptome und umfassen jene Gene, die für eine diagnostische Abklärung zwingend vollständig und in hoher Qualität untersucht werden müssen. Alle Core‑Gene erfüllen die Anforderungen der Kategorie A (siehe unten) gemäß der oben genannten Publikation, der S1-Leitlinie „Molekulargenetische Diagnostik“ (AWMF-Register Nr. 078/01, PMID: 40698191) und der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (Rili‑BÄK-2019) jeweils in aktuell gültiger Version. Zusätzlich befundete Gene des erweiterten Panels erfüllen mindestens die Kategorie B.
Typ A-Diagnostik: Diese Kategorie stellt den höchsten mittels NGS erreichbaren Qualitätsstandard dar. Das Labor garantiert eine > 99 % zuverlässige Detektion („reliable variant calls“) sämtlicher kodierender Regionen und angrenzender intronischer Bereiche bei einer > 99 %-igen Abdeckung (mindestens 20-fach). Nicht ausreichend abgedeckte Abschnitte werden durch eine ergänzende Methodik (z. B. Sanger-Sequenzierung) komplettiert. Zusätzlich erfolgt eine Analyse hinsichtlich genomischer Deletionen und Duplikationen. Diese wird gegebenenfalls durch zusätzlich durchgeführte MLPA-Analyse unterstützt (MLPA®: Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification, MRC-Holland).
Typ B-Diagnostik: Das Labor garantiert eine > 99 % zuverlässige Detektion („reliable variant calls“) sämtlicher kodierender Regionen und angrenzender intronischer Bereiche bei einer > 99 %-igen Abdeckung (mindestens 20-fach). Eine Komplettierung einzelner Gene per Sanger-Sequenzierung sowie eine zusätzliche Dosisanalyse ausgewählter Gene (z. B. mittels MLPA) kann im Bedarfsfall durchgeführt werden.
Typ C-Diagnostik: Die Auswertung beruht ausschließlich auf der Qualität der NGS-Daten, ohne ergänzende Sanger- oder andere Sequenzierungen.
Die Benennung der identifizierten Varianten folgt der aktuellen HGVS-Nomenklatur. Die Bewertung der Varianten erfolgt nach dem Klassifizierungssystem des American College of Medical Genetics and Genomics (ACMG, PMID: 25741868). Sofern verfügbar, wird zudem auf genspezifische oder indikationsspezifische Modifikationen des ACMG-Klassifizierungssystems zurückgegriffen.
Es werden folgende Variantenklassen unterschieden:
- Klasse 5: krankheitsrelevant (pathogen)
- Klasse 4: wahrscheinlich krankheitsrelevant
- Klasse 3: Variante unklarer Signifikanz (VUS)
- Klasse 2: wahrscheinliche Normvariante ohne Krankheitsrelevanz
- Klasse 1: Normvariante ohne Krankheitsrelevanz (benigne)
Ziel unserer genetischen Diagnostik ist es, die klinische Fragestellung zu untersuchen und damit eine mögliche genetische Ursache der Symptomatik zu klären. Entsprechend werden Varianten insbesondere dann berichtet, wenn zum Zeitpunkt der genetischen Diagnostik sicher oder mit ausreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass diese krankheitsassoziiert sind oder sein könnten. Dies bedeutet, dass im Rahmen des beauftragten Diagnostikumfanges alle detektierten Varianten der Klasse 4 und 5 berichtet werden, während Varianten unklarer Signifikanz (Klasse 3) nur dann mitgeteilt werden, wenn aufgrund von Allelfrequenz, bioinformatischen Vorhersagen, funktionellen Daten, Erbgang und klinischem Phänotyp eine Krankheitsrelevanz möglich erscheint. In einigen Fällen können durch zusätzliche Analysen (z. B. Untersuchung weiterer Familienangehöriger – sogenannte Segregationsanalyse) weitere Erkenntnisse zu der Variante erhoben werden, die dann eine Reklassifizierung ermöglichen. Es wird darauf hingewiesen, dass sich Einschätzungen zu Varianten im Laufe der Zeit durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse ändern könnten, so dass insbesondere für Varianten mit unklarer Signifikanz eine erneute Beurteilung nach dem dann geltenden Kenntnisstand in der Regel nach circa vier Jahren zu empfehlen ist.
Trotz hoher technischer Standards bestehen methodische Grenzen. Nicht oder nicht sicher erfasst werden in der Regel:
- Sequenzveränderungen außerhalb der untersuchten Bereiche (z. B. Introns, regulatorische Regionen)
- Varianten mit niedriger Allelfraktion (SNVs < 20 %, InDels < 15 %)
- somatische Kopienzahlveränderungen oder Mosaike
- Veränderungen in Homopolymerregionen (≥ 10 bp)
- Repeatexpansionen
- balancierte strukturelle Aberrationen
- epigenetische Veränderungen
Die CNV-Analyse weist insbesondere bei kleinen Kopienzahlveränderungen (1–2 Exons) eine eingeschränkte Sensitivität auf. Zudem können Homopolymerbereiche, Paraloge, Pseudogene (ggf. mit Genkonversionen) oder ein Mosaikstatus die Sensitivität von SNVs, InDels und CNVs beeinflussen.
Im Rahmen der erfolgten Diagnostik ist es vereinzelt möglich, zusätzlich vorliegende krankheitsassoziierte Veränderungen in Genen, die nicht unmittelbar beauftragt wurden, zu detektieren.
Hierbei handelt es sich um:
- Zusatzbefunde, die sich in der Regel auf genetische Veränderungen beziehen, die nicht unmittelbar angefordert wurden, jedoch in einem erweiterten Zusammenhang mit der klinischen Fragestellung stehen.
- Zufallsbefunde/Nebenbefunde, die durch die angewandte Methodik gelegentlich aufgedeckt werden und nicht in direktem Zusammenhang mit der klinischen Fragestellung stehen. Unsere Auswertestrategie ist so ausgerichtet, dass die Wahrscheinlichkeit für Zufallsbefunde in der Regel nur sehr gering ist. Sollte dennoch ein krankheitsrelevanter Zufallsbefund detektiert werden, wird dieser in Anlehnung an die internationalen Empfehlungen der ACMG nur berichtet, sofern sich daraus eine Behandlungskonsequenz ergibt.
Sollten (wahrscheinlich) krankheitsassoziierte Veränderungen im Rahmen von Zusatz- oder Zufallsbefunden nachgewiesen werden, würden diese nur berichtet, sofern dies gemäß der vorliegenden Einverständniserklärung gewünscht wurde. Der Bericht von fragestellungsunabhängigen Zufallsbefunden ist zusätzlich davon abhängig, ob die beauftragende ärztliche Person für deren Mitteilung und Beratung die nötigen Qualifikationsanforderungen (gemäß Gendiagnostikgesetz und Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission) erfüllt. Ist dies nicht der Fall, wird nur mitgeteilt, dass ein relevanter Zufallsbefund vorliegt und für die genetische Beratung und Befundmitteilung dieses Befundes eine Vorstellung des Patienten bei einer entsprechend qualifizierten ärztlichen Person (z. B. Fachärztin / Facharzt für Humangenetik) empfohlen.
Es wird zudem darauf hingewiesen, dass kein Anspruch auf die Mitteilung von Zusatz- oder Zufallsbefunden bzw. deren Vollständigkeit besteht. Wenn in einem Befund keine zusätzlichen krankheitsassoziierten Veränderungen berichtet werden, bedeutet dies nicht, dass derartige Befunde nicht vorliegen könnten.
Unser Labor arbeitet gemäß der S1-Leitlinie „Molekulargenetische Diagnostik“ (AWMF-Register Nr. 078/01, PMID: 40698191), weiterer aktueller Leitlinien der Fachgesellschaften, der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (Rili-BÄK-2019) sowie nach einem zertifizierten Qualitätsmanagementsystem.
Alle Verfahren und Bewertungen werden regelmäßig überprüft und entsprechend neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aktualisiert.